Beschluss des BACDJ vom 23. September 2022
Für einen konsequenten Schutz allen menschlichen Lebens
Der Schutz menschlichen Lebens ist aktuell Gegenstand stark polarisierender rechtlicher und gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Betroffen sind vor allem die Phasen, in denen das Leben am verletzlichsten ist: vor der Geburt und am Lebensende. So hat der US-Supreme Court am 24. Juni 2022 ein 50 Jahre altes, hoch umstrittenes Grundsatzurteil mit der Feststellung revidiert, dass die amerikanische Verfassung kein Recht auf Schwangerschaftsabbruch gewähre. Am selben Tag hat der Deutsche Bundestag auf Betreiben der Ampelkoalition und gestützt auf die Koalitionsmehrheit die Aufhebung des strafbewehrten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB beschlossen. Nach der stark umstrittenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 zur Verfassungswidrigkeit des durch § 217 StGB strafbewehrten Verbots geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung, befasst sich der Deutsche Bundestag aktuell mit überfraktionellen Gesetzesentwürfen zu einer Neuregelung.
Hier stehen ethische Grundfragen zur Diskussion, die das Fundament unserer Gesellschaft berühren, und deren Beantwortung uns als Gesellschaft betrifft. Es geht um die unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen und das Grundrecht auf Leben.
Ausgehend vom christlichen Menschenbild treten wir allen Tendenzen zu einer Relativierung des Lebensschutzes konsequent und mit Nachdruck entgegen. Die Einzigartigkeit und Unverfügbarkeit allen menschlichen Lebens, das verfassungsrechtlich ein besonders hohes Schutzgut darstellt, verlangt von Staat und Gesellschaft, wirksame Maßnahmen zum Schutz derjenigen, die sich nicht selbst ausreichend schützen können.
Besonders verletzlich ist das beginnende menschliche Leben vor der Geburt und das Leben all derer, die bedingt durch hohes Alter oder physische und psychische Erkrankungen auf die Unterstützung der Familie, des persönlichen Umfelds und der staatlichen Gemeinschaft angewiesen sind. Dieses Leben muss im Zentrum staatlicher Schutz- und Fürsorgemaßnahmen stehen, auch wenn der Lebensschutz im Konfliktfall mit konkurrierenden Grundrechten abgewogen werden muss.
Die Aufhebung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB ist ein falsches Signal. Die Norm war Teil eines sorgfältig austarierten Schutzkonzepts. Angesichts des bereits durch § 218a StGB weitgehend straflos gestellten Schwangerschaftsabbruchs, ist jeder weitere Schritt abzulehnen, der die als Gegengewicht konzipierten Schutzmaßnahmen einschränkt. Es ist die Aufgabe des Staates, sich jeder gesellschaftlichen Tendenz entschieden entgegenzustellen, die Schwangerschaftsabbrüche als bloße Dienstleistung verstanden wissen will.
Die Ausübung von Freiheit ist stets mit Verantwortung verbunden, die auch von Staat und Gesellschaft einzufordern ist. Dies gilt im besonderen Maße, wenn eigene Entscheidungen zur Beendigung oder auch nur Gefährdung fremden Lebens führen. Ein Begriff von Freiheit und Selbstbestimmung, der diesen Zusammenhang leugnet, widerspricht dem Leitbild eines aufgeklärten, eigenverantwortlichen Staatsbürgers, der unserer Rechtsordnung und unserem Gesellschaftsverständnis zu Grunde liegt.
Wenn es die Umstände erfordern, müssen sich schwangere Frauen, die hohe Verantwortung für das ungeborene Leben tragen, auf die Unterstützung des Staats verlassen können. Etwa hat der Staat nötigenfalls sicherzustellen, dass die Mitverantwortung des Kindsvaters – insbesondere durch Leistung von Unterhalt – wirksam eingefordert werden kann. Im Übrigen ist der Staat in der Pflicht, der Schwangeren umfassende Hilfe durch Beratung, medizinische und psychologische Angebote zur Verfügung zu stellen. Wenn es um die Frage des straflosen Abbruchs der Schwangerschaft geht – der stets ultima ratio bleiben muss –, darf der Staat die Ausgestaltung der Beratungsgespräche nicht der freien Gestaltung privater Anbieter und Interessengruppen überlassen. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht für das ungeborene Leben erfordert vielmehr, dass der Staat dafür Sorge trägt, dass auch die Beratungs- und Unterstützungsangebote für Schwangere dem Lebensschutz dienen.
Auch bei unterstützungsbedürftigen alten und schwer erkrankten Menschen muss sich staatliches Handeln auf den Lebensschutz ausrichten. Staat und Gesellschaft haben sicherzustellen, dass für diese Menschen die unantastbare Würde, Unverfügbarkeit und Selbstbestimmung jedes menschlichen Lebens nicht zu bloßen Lippenbekenntnissen einer Gesellschaft verkommen, die sich dem adäquaten Umgang mit Schmerz und Leiden, Alter und Tod verweigert.
Der Staat darf niemanden daran hindern, sein Leben freiverantwortlich und unbeeinflusst von äußerem Druck oder psychischer Erkrankung selbst zu beenden, der in diesem Leben keinen Sinn mehr erkennen kann oder den Lebensmut verloren hat. Er muss jedoch alle Maßnahmen ergreifen – von der Förderung der Palliativmedizin, über den Ausbau psychologischer und psychiatrischer Unterstützungsmöglichkeiten sowie dem Ausbau von Betreuungs- und Pflegeangeboten bis hin zum Hospizwesen – um alten, kranken und schwachen Menschen ein würdiges Leben mit einem hohen Maß an Selbstbestimmung zu ermöglichen. Ziel aller staatlichen Bestrebungen muss es sein, dass diese Menschen die hohe Wertschätzung ihres Lebens durch die Gesellschaft ganz praktisch und unmittelbar erfahren können, damit sie ihren Lebensmut nicht verlieren und sie auch in schwierigsten Lagen ihr Leben als sinnerfüllt und wertvoll begreifen können. Eine Normalisierung von Angeboten der Suizidassistenz würde der Ausrichtung von Staat und Gesellschaft auf die Wertschätzung und Bewahrung allen Lebens zuwiderlaufen.
Die Tötung eines Menschen darf – auch wenn sie auf dessen Wunsch hin erfolgt – niemals zum Geschäft werden. Selbst nicht gewerbsmäßige, jedoch auf Wiederholung angelegte Angebote der Suizidassistenz sind mit zu hohen Risiken für die Gesellschaft insgesamt verbunden. Niemals darf der Eindruck entstehen, dass zwischen lebenswertem und nicht (mehr) lebenswertem Leben unterschieden wird.
Die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung muss daher auch nach der umstrittenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts strafbar bleiben. Erst recht gilt dies für die Tötung auf Verlangen.
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